In (trockenen) Alkoholikerkreisen hoert man oft Aussprueche wie: "ich bin froh, Alkoholiker zu sein". Also damit kann ich mich bis heute nicht anfreunden, denn diese Lebenserfahrung haette ich mir liebend gerne erspart; und schliesslich wusste ich ja nie wie's ausgeht (weiss ich ja immer noch nicht). Maximal wuerde ich sagen: "ich bin froh, dass ich endlich weiss, dass ich Alkoholiker bin" Wie denkt Ihr darueber ?
zu denen die sagen "Ich bin froh Alkoholiker zu sein" ! gehöre ich auch, es steht zum Beispiel als Überschrift in meiner "Suchthistorie" auf der Homepage.
Weshalb ich das sage ? Ich versuche es einmal verständlicher zu formulieren. Fast jeder, der nach der Entgiftung trocken aus der Klinik marschiert ist kennt wohl dieses 'himmelhochjauchzende' Gefühl. Mir ging es so. Eine totale Euphorie. Ich habe (nun nüchtern) sehr viele Dinge mit anderen Augen gesehen, vieles anders gespürt, gerochen, gefühlt, geliebt, gehasst und erlebt. Ich bin auch fragender und hinterfragender geworden, neugieriger, wissbegieriger, reiselustiger, fröhlicher, frecher, ernster, mutiger, spitzbübischer, fleissiger und in manchen Bereichen fauler. Ich habe die Welt - allgemein formuliert - mit anderen Augen gesehen. Oft wurde mir gesagt: "Diese Euphorie geht auch wieder weg, warte einmal ein halbes Jahr...." . Doch - dem war und ist nicht so.
Ich sage deshalb "Ich bin froh Alkoholiker zu sein" ! weil ich weiss, dass ich diese Lebensart sicher nicht hätte erfahren dürfen. Denn ich hätte das "Gegenteil" nicht so intensiv erlebt. Als nasser Alkoholiker habe ich das. Und deshalb weiss ich mein jetztiges Leben anders zu schätzen (einzuschätzen) und zu leben (erleben) als ohne diesen nassen Lebensabschnitt.
Hoffentlich habe ich das einigermassen verständlich beschrieben , eigene Gefühle zu beschreiben ist eben nicht so einfach.
tommie
P.S.: natürlich habe ich mir auch einige "negative" Dinge angewöhnt, aber das ist ein anderes Thema.
ich versteh schon, was du meinst - am Tiefpunkt als Alkoholiker angelangt, muss man wohl sein ganzes Leben und seine Sicht der Dinge in Frage stellen - denn, wie wir wissen: nur nicht mehr saufen und ansonsten weiterwurschteln wie bisher funktioniert nicht auf Dauer. Aber prinzipiell steht diese Moeglichkeit der "Selbsterfahrung" (mir fallt grad kein besseres Wort ein) ja auch jedem Nichtalkoholiker offen, dass es die wenigsten tun, steht auf einem anderen Blatt.... Du schreibst, bei Dir haelt die Anfangseuphorie nach wie vor an - das ist bei mir nicht so. Am Anfang war ich ueber jeden Tag ohne Alkohol wahnsinnig stolz auf mich selbst - mittlerweile gehoert nicht-trinken zur "Gewohnheit" (worin ich auch eine gewisse Gefahr sehe.)
ich finde den Spruch "Ich bin froh, ein Alkoholiker zu sein" eigentlich blöd; aber so, wie Tommie das schreibt, sehe ich das auch. Und deshalb finde ich den Spruch aus dieser Sicht doch sehr gut.
Hallo, ich bin nicht froh, ein Alkoholiker zu sein. Aber ich bin froh dazu zu stehen.Nicht das ich mich immer und überal gleich oute.Nein, aber manchmal ist es angebracht. Ich habe so meine positiven sowie auch negativen Erfahrungen gemacht. Es ist schon seltsam wie einige Leute damit umgehen. Im Familienkreis war es komisch.Im Bekanntenkreis ist es anders. Und wenn ich ganz fremde neue Leute kennenlerne ist es immer wieder eine Herausforderung. Wie seht ihr das denn so?
Hallo@all, als ich für mich selbst die 'Diagnose' getroffen habe: Ich bin Alkoholikerin! war ich zutiefst getroffen. Warum gerade ich? Darüber war ich bestimmt nicht froh. Heute, nach über 2 Jahren Trockenheit, bin ich wirklich froh, dass ich durch diese Krankheit etwas über mich lernen durfte und das ich über meine Probleme jederzeit in Gruppen reden kann. Das ist für mich eine ganz tolle Möglichkeit, die viele 'normale' Freunde von mir nicht haben. Zora
Schließe mich "Roter Zora" vollinhaltlich an ! Tommies Erfahrungen teile ich nur zum Teil. Die Euphorie kenne ich auch, sie führte nach einem 3/4 Jahr zu einem Rückfall. Durch diesen habe ich dann nochmal einiges über mich und andere gelernt.
Um auf Ritchie einzugehen: zu diesen Therapie- Selbsthilfe- erfahrungen hätte ich mich ohne Suchtkrankheit niemals aufgerafft !
So aber habe ich dies alles erleben dürfen. Dafür bin ich dankbar.
Hallo! Ich kann das für mich nicht annehmen "ich bin froh, Alkoholiker zu sein". Ich habe das auch schon oft gelesen und auch schon live gehört, musste darüber aber immer den Kopf schütteln. Ich bin auch nicht froh, einen Schnupfen zu haben, um danach wieder meine Genesung davon zu feiern. Und Alkoholismus ist eine wirklich schreckliche Krankheit, die nicht nur mich im Griff hat, sondern - wenn ich nicht trocken leben kann - mein ganzes Umfeld in ein Chaos ziehen kann. Darüber bin ich nicht froh. Ich bin glücklich, heute so zu leben, wie ich lebe. Ich bin glücklich, viele trockene Alkoholiker zu kennen und schon lange Zeit zu kennen. Ich habe Freunde gefunden, Menschen, die auf meiner Wellenlänge liegen, mit denen ich zumindest etwas gemeinsam habe. Das ist ein Fest, dass es jeden Tag aufs Neue zu feiern gilt. Darüber bin ich froh, aber ganz sicher nicht über die Tatsache, daß ich diese Krankheit habe.
Hallo Richie! Ich bin spät dran mit meiner Antwort,aber vielleicht liest du`s ja noch.Meine Mutter trinkt und mein Vater u. mein Exfreund haben getrunken.Ich habe bei allen dreien darunter gelitten u. leide heute noch.Ich würde es als Angehörige als einen Schlag ins Gesicht betrachten,wenn mir ein Mensch,den ich liebe diesen Satz sagen würde.Ich kann allerdinga auch Tommies Aussage verstehen. ich bin depressiv u.in gewisser Weise auch froh über diese Depression.Durch die Therapie, die ich jetzt mache,habe ich mich besser kennengelernt.Ohne die Depression hätte ich meine Co-Abhängigkeit nie so bewußt erlebt.Also ein zweischneidiges Schwert. Wäre schön,mal eine Antwort zu lesen.Tschüss u. schöne Grüße!