Ich bin 43 Jahre alt und stehe noch ziemlich am Anfang. Weiss nicht wie beginnen. Hier mal ein kurzer Abriss:
Das erste Glas Bier mit 15. Schmeckte gar nicht. Mit 16 die erste Flasche Bier (.58 l). Plötzlich baute ich Hemmungen ab und konnte öffentlich sprechen.
Danach unauffällig, mal ein Bier oder einen Wein am Wochenende. Dann zusätzlich Bier immer an Schiessanlässen (2-3 mal pro Monat). Bald merkte ich, dass ich mit 1-2 dl Rotwein besser schiesse. Somit immer 30 - 45 min vor dem Training oder Wettkampf ein Glas Rotwein.
Während der Lehre kein Alkoholproblem. Beim Bund dann am Kompanieabschlussabend zum ersten (und zum Glück zum einzigen) Mal richtig besoffen. Schade um das gute Essen...
Während dem Studium wenig Alkohol getrunken.
Ab 35 Jahren stieg der Konsum kontinuierlich an. Etablierte Position, Alkohol gehörte zum Geschäft. Eine Phase mit viel Reisen. Geschäftlich und privat. Die Business-Lounges auf Flughäfen wurde zum zweiten Zuhause.
Alle Einladungen nach Schottland endeten immer mit tägigen, bezahlten Besuchen in Single Malt Distillerien. Einladungen nach Silicon Valley mit anschliessenden längeren Besuchen im Nappa- und Sonoma Valley. Einsätze in Frankreich mit anschliessendem Besuch auf Chateaus im Burgund. Und plötzlich schmeckte der Stoff zu jeder möglichen Tages- oder Nachtzeit.
Ich fühlte mich ja so sicher. Tage- oder wochenweise trocken? Kein Problem. Nie Filmriss, immer alles im Griff. Hab nie Entzugserscheinungen gehabt.
Ich suchte die Herausforderung: Skydive, Paraglide, SCUBA, Combatschiessen. Weiterausbildung beim Bund. Nachdiplom in San Diego. Und jede Menge andere Aktivitäten: Motorradfahren, Zweitjob als Dozent angenommen. LKW Führerschein gemacht und regelmässig gefahren, Oldtimerclub aufgebaut, etc. pp.
Immer präsent, immer fit, immer leistungsfähig. Ich glaubte, Alkohol gebe mir Power. Jeden Abend eine Flasche Wein war Standard. Öfters gabs noch Whiskey danach.
Tja, und irgendwann das erste Glas am Morgen.
Und dann regelmässig ein Bier zu Mittag. Natürlich weit weg von der Betriebskantine.
Die Menge der Aktivitäten (privat und geschäftlich) stieg ins Riesige. Ich glaubte, dass ich nur noch mit Alkohol die Leistung bringen kann. Aber getrunken hab immer ich. Niemand sonst trägt Verantwortung für mein Trinken.
Im Juni sagte mein Boss zu mir: "Therapie oder Entlassung. Die Firma unterstützt Dich"
Meine erste Reaktion war eine grosse Erleichterung. Endlich ist die Seifenblase geplatzt. Ich glaube, dass sich mir eine einmalige (wenn nicht sogar die letzte) Chance bietet. Ich kenne Kollegen die in jüngeren Jahren mit Hirnschlag oder Herzinfarkt bezahlt haben. Ich musste, nein ich wollte aufräumen.
Von Heute auf Morgen geändert: - Hobbys und Nebenaktivitäten massiv abgebaut - Kein Alkohol mehr zum Frühstück - Kein Alkohol mehr zum Mittagessen
Mein Stand heute: - Ambulante Therapie und regelmässige medizinische Kontrollen - Mindestens drei trinkfreie Tage in Serie pro Woche - Klare Trinkplanung (Datum, Zeit) pro Tag - Pro Trinktag max. 40g Alkohol - Nachgängig Trinktagebuch führen mit Motivationsbegründung und Analyse der Trinkumstände.
Das Ganze ist zeitintensiv und spontanes Trinken entfällt völlig. Man lebt mit dem Taschenrechner.
Ob das für mich der richtige Weg ist, weiss ich noch nicht. Jedenfalls geniesse ich die neu gewonnene Freizeit. Kommendes Wochenende hab ich schon zum zweiten Mal in diesem Monat nichts geplant. Cool! Jedenfalls denke ich, dass es für mich einen Versuch wert ist.
So, dass ist meine konzentrierte Trinkkarriere. (Doch bisschen lang geworden)
Danke für alle Meinungen und Feedback. Bei Fragen einfach fragen.
Gruss und alles Gute, sober
[f1][ Editiert von Sober am: 29.08.2004 14:10 ][/f]
da hast du aber alles sehr gut beschrieben....ich danke dir
Ich habe da schon eine Frage.
Du schreibst: >>>Mein Stand heute: - Ambulante Therapie und regelmässige medizinische Kontrollen - Mindestens drei trinkfreie Tage in Serie pro Woche - Klare Trinkplanung (Datum, Zeit) pro Tag - Pro Trinktag max. 40g Alkohol - Nachgängig Trinktagebuch führen mit Motivationsbegründung und Analyse der Trinkumstände.<<<
Was ist das denn für eine ambulante Therapie Ich gehe auch in eine ambulante und da ist Alkohol verboten...da musst du schon trocken sein, sonst musst du stationär! Machst du die alleine mit dem Arzt
Ich bin zur Suchtberatungsstelle in unserer Stadt gegangen. Dort wurde nach ein paar Gesprächen aufgrund meines stabilen Umfeldes (Beziehung, Job, Bekannte die nicht trinken) zu einer ambulanten Behandlung geraten.
Für mich sieht diese folgendermassen aus: Regelmässige Gesprächstherapie (ca. Alle 2-3 Wochen 1h) mit einer „Suchtberaterin für legale Drogen“ (Trinkplanung, Begündung von Abweichungen, Besprechung Trinktagebuch, Erforschung von Trinkmotiven, etc.) Dabei gibts auch immer „Hausaufgaben“. D.h. ich beschäftige mich mit Teilaspekten meines Trinkens und schreibe meine Gefühle und Hintergründe auf.
Regelmässiger Besuch bei einer Internistin zur rein medizinischen Begleitung (z.B. Blut/Leberwerte, Essen, Sport. Einfach die messbaren Sachen)
Der Entscheid, ob abstinent oder kontrolliert Trinken, wird mit jedem Patienten individuell besprochen und gemeinsam festgelegt. Übergänge zwischen den zwei Möglichkeiten sind, nach Gespräch und Begründung, möglich.
So, hoffentlich hab ich Deine Frage beantworten können. Sonst einfach weiterfragen.
dann ist das bei dir anderst als bei mir ich gehe alle Woche in eine Therapeutisch geführte Gruppe und alle zwei Wochen Einzelgespräch mit Therapeuten geht ein halbes Jahr!
gibt es auch kombiniert mit 7 Wochen stationär dazwischen!
Wie hast du dich in den 2 Wochen Enthaltsamkeit gefühlt? Wenn du meinst, du könntest auch ohne Alk auskommen, warum benutzt du ihn im Moment dann noch? Mußt du dir diese Option für Geschäftsessen oder so offen halten (ich weiß von Vertriebskollegen, daß - gerade in den USA - manchmal Verträge unter-Dach-und-Fach-gesoffen werden)?
Dies sind _keine_ Vorwürfe von mir, wirklich nur Fragen! Ich wär der Letzte, der sich paar schöne Steine kaufen würde...
"Der Entscheid, ob abstinent oder kontrolliert Trinken, wird mit jedem Patienten individuell besprochen und gemeinsam festgelegt. Übergänge zwischen den zwei Möglichkeiten sind, nach Gespräch und Begründung, möglich."
Es erstaunt mich doch schon etwas, daß bei Alkoholproblemen in Therapien sich mit kontrolliertem Trinken beschäftigt wird. Das ist mir total neu. Verstehe das jetzt bitte nicht als kritik aber ich dachte immer nur Abstinenz wäre möglich.
Kommst Du mit dem kontrollierten Trinken klar? Wäre es nicht viel weniger anstrengend gar nichts mehr zu trinken? Also für mich wäre der Kampf jedesmal aufzuhören und aufzupassen viel größer als einfach auf den Alkohol zu verzichten.
Klingt alles sehr rational. Als wenn du dich ziemlich im Griff haben musst. Da ginge es mir wie Adobe. Viel zu anstrengend, dann lieber gar nichts mehr.
Die Herangehensweise an die Therapie erinnert mich an dieses => BUCH
Ist das Euer Ansatz? Darin geht es irgendwie um's kontrollierte Trinken.
Hi Sober, ein herzliches Willkommen auch von mir. Mich interessiert, wie du denn selbst dein Trinkverhalten einstufst. Meinst du, du trinkst einfach etwas zuviel und möchtest deinen Alkoholgebrauch in feste Bahnen lenken oder hälst du dein Verhalten schon für eine Sucht ?
ZitatDer Entscheid, ob abstinent oder kontrolliert Trinken, wird mit jedem Patienten individuell besprochen und gemeinsam festgelegt. Übergänge zwischen den zwei Möglichkeiten sind, nach Gespräch und Begründung, möglich.
Das bei einem Menschen der schon von der Firma abgemahnt wurde. Das ist solcher Schwachsinn, daß ich vermute daß das ziemlich teuer ist.
Das hört sich nach therapeutischer Begleitung in den Abgrund an. Wenn das auf Dauer gut geht, und du auch nur einen Funken Spaß am Leben hast, bist du ein Phänomen. Es soll tatsächlich Leute geben die das längere Zeit schaffen aber die haben nur noch den Gedanken wann darf ich wieviel trinken. Das halte ich für kein besonders erstrebenshaftes Leben.
Ralf
[f1][ Editiert von Ralfi am: 27.08.2004 23:46 ][/f]
also eine Abmahnung in der Firma heisst, dass man Deine Krankheit erkannt hat. Ich frage mich nur, ob Du es auch erkannt hast, denn ein kontrolliertes Trinken ist bei einem Alkoholiker nicht möglich. Von so einer Therapie habe ich auch noch nichts gehört, wie Lisl schon postet, dort hat man nüchtern zu erscheinen. Der Zweck dieser Therapie ist ja auch, dass Du Dich mit Deiner Krankheit auseinander setzt. Vielleicht klärst Du das am besten nochmal mit Deinen Therapeuten ab. Ich wünsche Dir gute 24 Stunden liebe Grüsse von Marieluu
jetzt bin ich aber platt!! Therapeutisch überwachte oder gesteuerte Kontrolltrinkversuche? Das habe ich auch noch nicht gehört und ich empfinde es als blauäugig auferlegte Selbstquälerei.
Solche Versuche, auch noch im Zusammenhang mit einer Abmahnung, kann ich nicht nachvollziehen.
Wenn ich mir vorstelle, z.B. bei einem täglichen Maß von 3 Glas Wein bleiben zu müssen, dann würde ich freiwillig verzichten, weil ich damit gar nicht den Wohlfühllevel erreichen kann. Und das ist es doch, was der Alkoholiker anstrebt. Bei gewohnten 2 Promille kann ich niemals mit, sagen wir mal, 1,0 Promille zufrieden sein.... Da fehlt was.
Der Geschmack vom Gesöff ist unwichtig - es muss rauschen... Da frage ich mich, was du für Therapeuten hast bzw. was die Leute von Alkoholismus wissen. Wahrscheinlich net viel.
Ich kann dir nur empfehlen dieses Trinkplan gewurschelt aufzugeben und dich vom Alkohol zu verabschieden. Betrachte es wie die Beerdigung eines langjährigen Freundes. Um die Trauerarbeit kommst du nicht herum.....aber mit der Zeit, bekommst du dein Leben auch ohne den Freund geregelt.
Wir haben uns ja auch schon im chat getroffen. Ich bin nicht immer nur albern!? Erzähl uns doch bitte näheres,mir kommt das auch zumindest sehr innovativ vor!!
Deine Wegbeschreibung ist sehr interessant. Gut finde ich, dass Du an einer Abzweigung angekommen bist, wo der "Weg der Erkenntnis" zumindest in der Nähe liegt.
Meine Erfahrung über viele Jahre sagt mir allerdings, dass kontrolliertes Trinken für den alkoholkranken Menschen eine Illusion ist und bleibt.
Auch ich konnte bei gesellschaftlichen Anlässen meinen Alkoholkonsum einschränken auf ein unverdächtiges Maß oder ganz verzichten (was immer leichter war).
Aber was Du jetzt machst, aus meiner Sicht mit einer zweifelhaften therapeutischen Hilfe, ist Kraftverschwendung.
Sollte es auf Dauer aufgehen, bist Du eine sehr seltene Ausnahme, die die Regel bestätigt - oder einfach gar nicht alkoholkrank.
Finde es heraus - wenn's geht, bevor es zu spät ist.
Zuerst mal Danke für Eure Posts, Meinungen und Links. Ich bin überwältigt. Aus Eurer Schreibe spricht Erfahrenes und Erlebtes.
Ich versuche nun zu Antworten. Seid Euch bitte bewusst, dass ich erst ganz am Anfang meines Weges stehe. Viel verstehe ich noch nicht, oder mir fehlt einfach die persönliche, direkte Erfahrung dazu.
@fallada Zum Teil ist das Trinken geschäftlich begründet. Aber eben nur zum Teil. Warum ich mich schlussendlich so Entschieden habe weiss ich nicht. Sozialer Druck? Nicht-loslassen-wollen? In den zwei Wochen hab ich ich Anfangs unruhig, später körperlich gut gefühlt.
@Adobe Mir fehlt Ausbildung und Erfahrung um zu urteilen, was möglich ist. Praktiker raten eher vom KT (Kontrolliertes Trinken) ab. Ich weiss schlichtweg nicht, ob es bei mir klappt. Ich nehme auch ein „Versagen“ in Kauf. Aber dann weiss ich für mich: „Bei mir funktioniert das nicht.“ Vielleicht erscheint Euch dieser Gedanke abstrus, mir hilft er jedenfalls. Und ja, KT ist kompliziert. Und ja, es ist nicht immer einfach nach zwei Glas Wein aufzuhören. Disziplin und Kraft sind gefordert. Ob ich’s schaffe? Siehe oben.
@felidaela Ja, wahrscheinlich bin ich ein Kopfmensch. Das macht einiges leichter, jedoch vieles schwerer und vor allem komplizierter. Es ist zeitaufwendig und verlangt eine konstante Beurteilung des eigenen Tun’s. Eine Wundermethode ist es garantiert nicht. Eher ein Versuch rauszufinden, was für mich möglich und vor allem sinnvoll ist.
@duennerwolf Du berührts eine Kernfrage. Ich beurteile mein Trinkverhalten in den letzten 12 Monaten vor dem STOP als verantwortungslos. Ich hab sicher nicht nur „etwas zuviel“ getrunken. Ob ich Alkoholiker bin oder Alkoholmissbrauch betrieben habe weiss ich nicht. [Es heisst zwar, wer sich diese Frage so stelle, habe sich die Antwort schon selber gegeben: Alkoholiker] Vielleicht ist es genau das, was ich mit dem Versuch des KT finden will?
@Randolf Ein gutes Bild. Ich bin nicht wirklich trocken im Sinne des Ausdrucks, Rauschtrinken oder „die volle Dröhnung“ sind jedoch nicht möglich.
@Ralfi Ich will kein Phänomen sein. Das frustriert mit der Zeit an und der Erwartungsdruck steigt ins unendliche. Heute ist mein fünfter trockener Tag in dieser Woche. Das heisst, ich hätte gestern; kann heute und wenn ich will auch morgen trinken. Ich hab gestern nichts getrunken und werde das auch heute nicht tun. Jetzt kommt der Punkt: Für mich persönlich ist es gutes Gefühl, etwas trinken zu können, wenn ich wollte. Ich habe mich jedoch entschieden, heute nichts zu trinken. Klingt sicher verrückt.
@Marieluu Danke Marieluu. Ich bin erst seit so kurzer Zeit in der Therapie, dass wir jedesmal am Abklären, verfeinern und ev. Umorientieren sind. Sie sprechen dort häufig von Motivation. Ich glaube, wenn ich die Erfahrung gemacht habe, das KT bei mir nicht funktioniert, akzeptiere ich Alternativen.
@Saftnase Meinen Wohlfühlpegel, wie Du es nennst, werde ich so oder so nie mehr erreichen – Punkt. Ich zweifle nicht an Deiner Meinung und Erfahrung. Ich stehe am Anfang und muss meinen Weg noch finden.